Montag, 22. April 2024

Sommerfugle, Sommervögelein

 

 

 

Auch wenn sich dieser April alles andere als sommerlich anfühlt, bei minütlich wechselnden Sonnendurchbrüchen neben dunklen Regenfronten, Graupelschauern inmitten schon maiengrün wogender Buchen, Apfelblüte und Schlammwegen im Wald, so kommen doch die Schmetterlinge hervor und flattern durch die Luft, weil es ihre Zeit ist.

Von Kindheit an begeisterten und beflügelten mich diese Wesen; so illustrierte ich meine selbstgeschriebenen Kindergeschichten mit Schmetterlingsgirlanden.

In der zweiten Hälfte des 17ten Jahrhunderts widmete Maria Sibylla Merian diesen "Sommervögelein" ihr Leben von früher Jugend an. Forschend, aufmerksam, neugierig und liebevoll zeichnend beobachtete sie, wie die von ihr in Pappschachteln gefangenen Seidenspinner Raupen eine zauberhafte Metamorphose durchliefen und als Schmetterlinge davonflogen.

Dies war eine Entdeckung für die Entomologie (Insektenforschung), da man bis zu dieser Zeit gemeinhin der Ansicht war, Insekten entstünden einfach so aus Dreck und Schlamm.

Auf ihren Bildern vereint Merian die verschiedenen Entwicklungsstadien der Raupe bis zum Schmetterling ebenso wie Insekten und Pflanzen als ganzheitliche, unhierarchische Gemeinschaft.

Kakerlaken auf einer blühenden Ananas werden nicht als hässliche oder untergeordnete Wesen, sondern mit liebevollem Blick für die Schönheit des Natürlichen detaillgetreu dargestellt. 

 

 Foto: Nelly Neukirchen
 
Derzeit ist ein Faksimile: Metamorphosis insectorum Surinamesium von Maria Sibylla Merian (1647-1717) in der Ausstellung: Maestras, Malerinnen 1500-1900 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen. Unbedingte Empfehlung! www.arpmuseum.org

Der Dänischen Dichterin Inger Christensen gelang mit ihrem berühmten Gedicht Sommerfugledalen, Deutsch: Das Schmetterlingstal, ein Meisterwerk zum Ende des 20. Jahrhunderts. 

"Ein Requiem, das zugleich ein Hymnus auf das Leben ist",  zeige, "dass es möglich ist, im selben Atemzug klassisch und gegenwärtig... magisch und analytisch" zu sein, schreibt Durs Grünbein, zitiert in einem Vorwort der 2009 im Märkischen Verlag Wilhelmshorst erschienenen Ausgabe der Reihe "Poesie Album".

Es muss doch eine Wesensverwandschaft zu Merian gegeben haben, eine Erweiterung in die Sprache hinein oder aus ihr heraus.

In die Reihe dieser bedeutenden Frauen möchte ich mich nicht stellen, wohl aber den Enthusiasmus zeichnend und malend fortschreiben, allein aus innerem Antrieb: Schmetterlinge, butterflies, papillons, mariposas, am liebsten aber: Sommervögelein oder Sommerfugle.

Dabei inspirierte mich Eine Gruppe von Schmetterlingenchō , von Kubota Shunman, japanischem Maler und Dichter, 1757-1820. Abgebildet auf einer  Postkarte aus dem Museum für Ostasiatische Kunst, dem MOK in Köln, diente mir sein poetisches Arrangement teils als Vorlage. So sind meine Bilder ebenso eine Verbeugung vor dem Meister Kubo () or Kubota (窪田) .

Unsere Schmetterlingsreise trudelt nun schon durch gut drei Jahrhunderte und über Länder und Kontinente hinweg.

Meine aus dem Reich der Phantasie gestiegenen geflügelten Wesen scheinen sich beim freien, keineswegs naturalistischen Zeichnen und Aquarellieren wie von selbst in ein Gleichgewicht aus Symmetrie und Asymmetrie, Harmonie und Dissonanz zu setzen. In melodischen Etüden ziehen sie ihre Schleifen zwischen Himmel und Erde, von Blüte zu Wolke, hin und her.

Ja, ich habe das Gefühl, meine Sommervögel sind Vertreterinnen eines kosmischen Gleichgewichts, das mich mitnehmen, einsaugen, emportragen mag zu Licht und Freude.

 

















 






Sonntag, 14. April 2024

Wolkenwurzeln


Oh, die Wolken!

Die schönen, schwebenden, rastlosen! Ich war ein Kind und reiste mit ihnen. Ich war Nils Holgersson, an den Hals einer Wolkengans geschmiegt, die so kraftvoll war wie ein Himmelherrgottsgewitter und so zart wie ein Pusteblumenkristall. Ich sah die Welt von oben, die Flüsse als Venen, quecksilberfunkelnd, juwelenbesetzt oder weit und blau wie der Himmel, der unser Zuhause war. Alles war ein Sehen und Sehnen, die ganze Reise, doch auch ein Nachhausekommen. Denn wo wir waren, war alles. Die Wolken verwandelten sich in Elefanten und Schafe, sie spielten mit mir, zeigten sich, nur um sich gleich weiter zu verwandeln. Ich war ein Kind mit einer Wolkenfamilie, und es war mir, als brauchte ich nichts weiter zu verstehen, als dass das Leben eine Reise war und immer sein würde, ein Ankommen im Unterwegssein. Meine Wolkengans war alles, was ein wenig Schwere besaß, ihr vertraute ich mein kleines Kindergewicht an. Sie flog, fuhr und glitt durch den Himmel mit mir. Alles um uns herum war leicht, auch wenn sich die Wolken, die Bevölkerung des Himmels, aufbauten, zusammenballten zu Mauern, Bergen, Burgen oder Felsen mit drohenden Gesichtern. Wenn Wind und Wetter sie zusammenbrauten zu unbestimmten Gebilden, aus denen sich auf einmal Konturen und Gestalten bildeten: Raubtiere wie Bären, Tiger, enorme Greifvögel oder aber gigantische Kaninchen, gehüllt in bleigraue, ja schwarze Gewänder mit Rändern aus Purpur, Gold und Schwefelgelb. Die Wolkengans war aus diesem Stoff, sie flog in ihrem Element, und ich war ihr zugeordnet von himmlischem Willen und Kraft. Wenn Blitze um uns herum zuckten und Donner krachten, ihre Gewaltigkeit blieb - leicht. Wir waren in ihnen und sie in uns, wir waren eine Einheit. Meine Füße suchten keinen Grund, meine Hände ruhten auf dem Federhals der Gans, gruben sich ein, waren zugehörig der Verlängerung des Gänsekörpers. Meine Haut, in die ich eingewachsen war, schimmerte wolkenweiß, glänzte wettergegerbt, regengenässt, hier oben, wohin alles Wasser aufstieg, um zu reisen und dann wiederum abzuregnen, zu fallen, zu schweben, zu stürzen in die Venen und Vasen der Welt weit unter uns.

Doch ich war ein Erdkind. Trieb Wurzeln, wurzelte in meine Himmelsgans hinein. Langsam, allmählich durchdrangen die Wurzeln meine Wirtin. Sie war meine Erde, ich war ihre Pflanze. Und eines Tages auf unserem immerwährenden Flug war die Wolkengans ganz durchwurzelt. Meine Wurzeln hatten sie in Besitz genommen. Diese meine winzigen, kitzligen Fingerchen hatten eine solche Macht, denn in ihnen rauschte ein tiefer, dunkler Saft. Kaum merklich war die Wolkengans schwerer geworden und immer ein wenig tiefer geflogen. Auch meine Füße hatten Wurzeln gebildet, die herabhingen wie Lianen und nach unten strebten, so wie die Flugwesen aufstrebten.

Die Erde, die immer unten war, kam näher und näher. Mehr und mehr spürten wir ihren Sog; begannen sie zu riechen mit Staub und Gras, all ihre sanften und gewaltigen, herrlichen, warmen Explosionen. Eines Tages dann erreichten wir die Erdwelt und landeten. Nun gehörten wir ihr. Waren umfangen, gefangen. Wurden, waren - schwer. Meine Wurzeln wurden zu Fangarmen, die sich in die Erde hakten und uns an sie banden, unsere Körper, unsere Sinne. Wir waren kühl und heiß. Wir wussten nicht, was geschah. So wie die Weite des Himmels uns gelassen beheimatet hatte, waren wir nun umschlossen von einer uns unbekannten Kraft. Es gab kein Zurück. Wir waren in einer unumkehrbaren Wandlung.

Die Wolkengans wurde ein Fels, ich wurde ein Baum. Der Fels blieb auf der Erde, ich aber wuchs in die Erde hinein, durchstieß die Grenze ins Erdreich, das dunkle, kühle, das zum Feuer im Mittelpunkt der Erde führt. Unerbittlich rief mich die Erde in ihren Schoß. Ich wuchs aber in zwei Richtungen. Mit meinem Körper, der statt eines Rumpfs mit Knochen, Fleisch und Blut ein Stamm mit Mark, Holz und Rinde geworden war, trieb ich wieder hinauf himmelwärts, bildete Äste und Zweige mit Blättern, wo Arme und Finger gewesen waren, und oben eine Krone. Gleichzeitig und genau entgegengesetzt wuchsen Beine und Füße als Wurzeln hinab als ein genauer Widerpart des Baumes. Unten, erdverbunden, war unsichtbar, was oben, luftumgeben, sichtbar war. Die eine Hälfte meines neuen Seins war fest, geschlossen, und bot der anderen Hälfte, die mit ihren Zweigen und Blättern mit dem Himmel spielte, Halt. Doch die Wurzeln des Baumes, der ich war, sog die Kraft wiederum nach oben, das Wasser, aus dem die Wolken sind, durch Adern und Holz hinein in die Blätter, wo sie sich mit der Sonne vereinigten und Saft und Farbe bildeten.

Ich wuchs und wurde erwachsen. Hielt einen Fels in meinen starken Wurzelarmen, die sich aus der Erde streckten. Denn wir waren eins. Tiere kamen, Vögel, Eichhörnchen, Käfer und Wild, nutzten uns, wohnten in und an uns, kamen zu Besuch auf ihren Wegen durch Tage, Nächte und Wetter. Und manchmal senkte sich eine Wolke zur Erde hinab und berührte den Baum mit seinem Fels.

Oh, die Wolken! Die schönen, schwebenden, rastlosen… kamen, um zu rasten. Und gemeinsam träumten wir voneinander. 

 

 

 

Oh, die Wolken! Die schönen, schwebenden, rastlosen!

Ich war ein unwissendes Kind und liebte sie. Schaute sie an und wusste nicht, dass auch ich als eine Wolke durchs Leben gehen würde. Wandernd, überall fremd, schwebend zwischen Zeit und Ewigkeit. Ich kann nicht über die Gasse gehen, so nicken wir einander zu, grüßen uns und verweilen einen Augenblick Aug‘ in Auge.

Hermann Hesse, aus: Peter Camenzind