Freitag, 25. Oktober 2024

Pico do Gavião - Adlergipfel

 

Unbemerkt fliegen die Adler

über Hüte Kleider Frisuren

Sonnenbrillen verdunkeln den Himmel

(oder sind es die Geier?)

 

Fast unsichtbar zieht eine Regenwolke zärtlich vorbei

 

Die Gleitschirme sind zurückgekehrt aus der Luft

und liegen nun eingerollt am Boden

 

Die Seriemas sind im Gras verschwunden

ihre langen Beine den Halmen gleich

 

Die Menschen posieren mit mobilen Foto-Apparaten

vor der Kulisse verbrannter hoffender Erde

 

Ich heiße Mary Poppins

trage Geschichten und Kinderherzen unterm Kleid –

gleich spanne ich meinen Schirm weit auf:

Wir wollen fliegen!

 

 

 


 

 

 

 

 

7. September

Festival Blues na Montanha


Pico do Gavião,

Minas Gerais/ São Paulo

Brazil

 

 

























Fotos: Eva Wal (außer mit Eva Wal), VG Bild



Eagle's Peak

 

 

Almost unnoticed the eagles fly

            cruising above hats dresses perms

 

The sky darkened by sunglasses

                        (or is it the vultures?)

 

Almost invisible a raincloud passes, tender

 

The paragliders have returned from the sky

and lye curled on the ground

 

The seriemas have disappeared into the grass

their long legs equal stems

 

People are posing with mobile phones

taking images capturing the scenery - burnt hopeful earth

 

Today my name is Mary Poppins

under my dress I keep stories and children’s hearts

 

Just a moment, I will now open my umbrella:

we want to fly!

 

 

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Morgenstund - manhã


Vai vai! Pünktlich um sieben Uhr morgens erhebt sich der Lärm vor meinem Fenster: Sirren, Pfeifen, Rumpeln, Klopfen, Schlagen, Rufen, Fluchen. Jede Woche wächst ein Stockwerk im Rohbau neben mir in die Höhe: dezesseis, dezassete, dezoito, dezanove, 16, 17, 18, 19. Dagegen das zarte Flirren des Bambus und das kräftige Leuchten einer roten Blüte im Morgenlicht in meinem schmalen Hof hier unten, versteckt in einer der wenigen verbliebenen Flachbauten in Cambui, Campinas, São Paulo.

Dort habe ich meine Residenz, meine Ausstellung, work in progress in der Galerie ATAL. Im Hof mache ich allmorgendliche Körperübungen: dehnen, strecken, beugen, schwingen. Dann Teeritual. Ananas, Mandeln, Müsli zum Frühstück, café de manhã. Genuss, Gesicht in der Sonne. Ein lichter Raum, eingepfercht zwischen Betonriesen und Lärm; doch von hier lasse ich good vibes in den neuen Tag aufsteigen wie kleine Wölkchen. Zu den Bauarbeitern da oben im gleißenden Licht, die nicht ausschlafen können wie ich. Vai vai! Und dazwischen der Vogel, der den Soundscape Brasiliens grundiert: Bem-Te-Vi*, ich seh' dich, ich seh' dich, und ich rufe: ich hör' dich, ich hör' dich!

Ein neuer Tag nach einer Nacht, verriegelt in der Galerie, alleine in der ganzen Straße; oft jaulen nachts Autos durchs Viertel, fahren Rennen mit röhrendem Auspuff. Drachen im Jahr des Drachen, der auch ein guter und weiser ist, hoffe ich, ein Fabel- und Kraftwesen, als chinesisches Sternzeichen herrschend im Jahr 2024.

Neue Ideen, nächtliche Ideen, fermentiert, verstrudelt mit Träumen tropfen auf Papier. Tinte, Farbe, Worte.

Ich liebe die Muße am Morgen. Das erste Gedicht entsteht. Zum Schluss wird es eine meiner Wolken, nuvems, die als Geschenke in Campinas bleiben, bei Freunden, Begegnungen, meinen Gastgebern. Sie gehen ein in den Kreislauf des Wetters, hier über der Stadt und auf dem Land, wohin ich später reisen werde, nach Minas Gerais und Rio de Janeiro an der Küste, jeweils eine Nachtreise entfernt von hier.

Wetterwolken sind gerade rar; stattdessen zieht der Smog der Brände in São Paulo und vom Amazonas nachmittags auf und faucht zwischen den Wolkenkratzern im blankgekratzten Himmel. Der Drache spuckt Feuer, rächt die menschengemachte Apokalypse: illegale Rodungen, Klimawandel, vai vai, sem parar!

Am Morgen trifft das Licht auf die Feder am Pfeil in meiner Ausstellung Flecha e Pao, wirft den Schatten der Schrift auf den Steinboden. Ich gehe los, reise in den Tag, uma nuvem de luz... revela uma vista - um continente.


https://www.youtube.com/watch?v=UMAnr-1m-tY



uma nuvem for Gallery ATAL



Morgenstund - manhã

5. - 31. August 2024








































































In the morning
I bathe my feet in moongravel
and dive through bold trees' yellow blossom

Right in front of my cage
guarded by bees' baskets made of glass
dances a colibri

I am singing with the powerful voice of the jaguar
in the fragile body of a little bird

 
8. August 2024






(c) Eva Wal, VG Bild