Mittwoch, 16. März 2022

Ein anderer Frühling

 


Jedes Jahr ist es ein besonderer Moment, wenn die Kamelie im März aufblüht. Seit kurzem scharren und picken auch zwei Hühner im Garten. Sie sind gute Gesellschaft, und jeden Morgen schenken sie mir ein wunderschön geformtes, kalkiges Gebilde mit Eiweiß und einem Eigelb darin. Sie piepen und fiepen, sind scheu und zutraulich. So anders geartet als die beiden Hähne, die Krieg führen mussten untereinander und ihre Kämpfe nicht einstellen konnten.
Das ist ihre Natur. Tiere sind unschuldig. Doch sollte unsere vernunftbegabte menschliche Natur nicht gerade dazu in der Lage sein, Krieg und zerstörerischen Wahnsinn zu überwinden und ihm Einhalt zu gebieten? 

What a piece of work is man, läßt sich mit Shakespeare ewig fragen, wundern und ausrufen.
How noble in reason, how infinite in faculty!
In form and moving how express and admirable!
In action how like an Angel!
In apprehension like a god!
The beauty of the world!
The paragon of animals!

And yet to me, what is the quintessence of dust?

Nach drei Wochen schon sind wir gewöhnt an die Anwesenheit des Krieges auf unserem Kontinent. Alles ist einen kalten Schreckensschatten getaucht. Jetzt erst beginne ich zu realisieren, eine Ahnung zu entwickeln, was Krieg und das Wort „überziehen“ (mit Krieg) meint. Der Überzug geht nicht mehr weg. Die Folgen sind ein Feuer, das nicht stoppt. So ist unser Frühling, in dem Hühner Hühner und Vögel Vögel sind, wo die Kamelie wieder zartrosa aufblüht, die Wolken ziehen, sich ballen, ausfransen, sich auflösen und wieder sammeln und wo der Mond sich rundet, um wieder abzunehmen, zu schrumpfen, sich allmählich zur Sichel zu krümmen, ein Kriegsfrühling.
Ich wünschte, ich könnte den Frühling genießen, das Leben, wie es ist, und es scheint gerade jetzt mild und freundlich hinter dem sirupartigen Schatten zu liegen wie ein sanftes Fell aus Laubwald. 
Doch der Schatten, ein Ungeheuer mit schweren Füßen in noch schwereren Stiefeln, stampfte von all den Kontinenten, wo er so lange schon heimisch wütete, herüber zu uns. Er winkt mit Bildern. Die Bilder explodieren. Aus dem zerstörerischen Beschuss steigt das Land Ukraine ins Bewusstsein: Atomkraftwerke, Celan, Maidan. Menschen. Männer an der Front, Frauen und Kinder auf der Flucht.
Was ist nah, was fern, wenn alles in Pixeln stattfindet?
Hier sind die wohlgeformten Eier am Morgen, die Kamelie, der blaue Himmel, Regen, Geigenmusik. Und dieses Gedicht von Tomas Tranströmer berührt mich genau in dieser Zeit:







Kriegsfrühling, Buntstift, Wachs, Aquarell, 30 x 43 cm