Donnerstag, 28. Juli 2022

Glossolalia


Die Nachtkerzen sind angegangen;

ich habe Schnecken gesammelt und

Regengöttin gespielt.


Wenn ich Glück habe, ernte ich

in diesem Jahr noch Palmkohl, Möhren,

Tomaten, Äpfel und Quitten; die, welche

nicht auf Grund liefen.


Kräuter sind immer da; Ampfer, Brennnessel und

Löwenzahn kamen über den Regenbogen

von der Arche Noah her.


Wenn die Bahnschienen noch eine Weile

zusammenbleiben, sie sind doch ein uraltes

Paar, tragen dieselben rostigen Perücken über

elfenbeingelben Gebissen, dann,

und das ist abzusehen, fahren wir noch einmal

nach Worpswede im Winter.


Wir haben dort etwas verloren; schwarze Würfel

aus Flusseis kollern in Kristallbechern.


Wir heben Äpfel, grün und purpurn. Klamm und

heimlich verhandle ich mit der Ewigkeit, während wir schweigen

und trinken.


Der Spiegel der Jugend zersplittert in die Gegenwart;

ach, Bäumchen, schüttle dich.


Lächelnd gleiten Torfkähne, Kinder jubilieren,

der Fluss, gesprenkelt und gescheckt wie ein edles

Vieh, singt, säuselt, gurgelt; spuckt Licht und Tiefe; saugt

unsere Stimmen ein in Strängen aus Luftwurzeln.


Du hörtest Flöten in der Weide, der Weg war

mit Brotkrumen bestreut, die glänzten

im Mondlicht; das kam vom Fluss, wo Glühwürmchen mit

toten Lampions irrten.


In diese Spuren bin ich eingewickelt wie ein Baby; kann

mich nicht bewegen, außer in einem Lichtjahr, und das ist

jetzt, sprenge ich alle Fesseln und gehe in den Garten.


Ich sammle Schnecken ein, die Lüstlinge, trunken von Apfellimonade

und einer Sintflut aus Quittenschnaps.


Grillen zirpen und das Gras singt mit den verbliebenen Mücken

im Sextett, Hymne im Likör.


Kugelfische verschlingen die schleimigen Schnecken, die immer mehr

Spuren legen wollen; die glänzen im Mond und legen Lunte zum

Haus, hahaha, ich schüttle euch!


Und die Nachtkerzen reden in leuchtender Glossolalie, hellgelb,

ja, die Nachtkerzen.



Maria Valewa, Juli 2022



Montag, 4. Juli 2022

Give Peace A Chance



 CHIMÄREN CZÁRDÁS oder janusköpfig

 

Auf Anfrage von Walter Pobaschnig für seinen wunderbaren Blog: 

https://literaturoutdoors.com 

Give Peace A Chance AKROSTIKON 

 

Und hier das Kurzinterview,

 

5 Fragen an Künstler*innen_  Eva Wal _ Schriftstellerin 

 

 

Liebe Eva, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

 

Das ist sehr unterschiedlich und unregelmäßig. Ich lebe mit kontinuierlichem Rhythmuswechsel; bin sozusagen Schichtarbeiterin. Mal fange ich als früher Vogel den Wurm, mal fliege ich mit der Nachteule. Anscheinend entspricht das meiner Natur.

Räume zu künstlerischem Arbeiten in Ruhe und Muße muss ich mir freischaufeln und einrichten. Dann breitet sich darin mein Fächer aus, ich schreibe, male, lese, höre Musik, meistens alles parallel, bis sich eine bestimmte Arbeit herauskristallisiert. Von dieser werde ich dann angesogen wie in einen Tunnel: ein großes Bild, ein Manuskript.

Im Alltag nehmen Korrespondenz, Organisation, Workshops, Projekte und vor allem das Hin- und Her-switchen von einem zum anderen viel Zeit und Energie in Anspruch. Seit diesem Jahr finden Projekte und Veranstaltungen wieder mit Menschen statt, in Gruppen. Das ist anstrengend, ich musste mich erst einmal resozialisieren. Mittlerweile macht es wieder Spaß, gibt mir Kraft und Schwung. Nun sind auch Reisen geplant. Ich freue mich auszuschwärmen, auf Begegnungen und Inspiration. Ich bin aufgeregt wie ein Kind!

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Zusammenhalt, sich nicht polarisieren zu lassen, Bescheidenheit im Umgang mit Ressourcen, Dankbarkeit, Verantwortung und Empathie.

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

 

Die Lebenswirklichkeit der meisten Kulturschaffenden ist oft schwierig und widrig. Dennoch ist es ein unschätzbares Gut, in Freiheit und Unversehrtheit schaffen zu können. Für den gesellschaftlichen Erhalt oder die Erschaffung solcher Bedingungen sollte jede*r Einzelne sich mitverantwortlich fühlen.

Nichts ist selbstverständlich.

Bildende Kunst, Literatur und Musik sind Brücken, die Menschen aller Kulturen verbinden können. Der Verstand ordnet sich unter, ist wach und verbunden mit seelischem Empfinden. Kunst führt in die Natur. Die Natur, aus der wir kommen, von der wir entfremdet sind, und deren Teil wir sind.

Kunst schafft Gemeinschaft und Begegnungen, auch mit uns selbst.

Sie kann Trost, Halt, Erkenntnis und Widerstandskraft geben, Schwingen verleihen und erden.

Sie ist ein Lebenselixier.

Ihre gesellschaftliche und politische Rolle ergibt sich daraus.

 

Was liest Du derzeit?

 

Am liebsten Tomas Tranströmers Gedichte. Wenn ich sie nicht lese, denke ich sehr oft an irgendeine Zeile oder meine, die Atmosphäre eines seiner Gedichte zu spüren, die so ganz einfach aus der Tiefe und dem Klang herauszusteigen scheinen.

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

 

Und die Leere kehrt uns ihr Gesicht zu und flüstert:

„Ich bin nicht leer, ich bin offen“.

 

T. Tranströmer, Vermeer

 

Vielen Dank!

 

https://literaturoutdoors.com/2022/06/30/ich-freue-mich-auszuschwarmen-auf-begegnungen-und-inspiration-eva-wal_lyrikerin-und-bildende-kunstlerin-_-bonn-3-7-2022/?fbclid=IwAR2B03LbxR0luKErZ7IQEDy8W4I-fF0deMd8cIc3O9GTmiFdHyX0KUp-AOI