Dienstag, 22. März 2011

NYX - Buchmesse Leipzig



Eva Wal und Jürgen Höritzsch
Präsentation des Künstlerbuches NYX auf der Buchmesse Leipzig am Stand der IAKH (Internationale Ausstellung für Künstlerbücher und Handpressendrucke), Freitag, 18.03.2011,
15:00 h, Halle 3, Stand H 501.

Informationen zum Künstlerbuch unter:
publikation und produktion


Foto: Heinz Hammer

Alle anderen Fotos: Oliver Kerth












Text aus der 20ten Jahresschrift der IAKH zum Künstlerbuch NYX

Eva Wal

Nachtlichter

Lust und Qual, Spachfindung und Bildwerdung

Am Anfang war das Chaos, das Undurchdringliche, die Nacht.
Am Anfang war das Wort.

Ich habe Bilder im Kopf, sie drängen in Sprache.
Ich habe Sprache im Kopf, Worte, Gedanken, diffus und klar, sie drängen nach Bildwerdung.

Ich packe das Wort beim Schopf:
Das Wort wird Ordnung schaffen im Chaos, Licht ins Dunkel bringen.
Das Wort wird das Chaos zerstören, es wird die Einheit der Dunkelheit beenden.

Worte, mit dem Stift zu Papier gebracht, sind Zeichen, aber auch Zeichnungen.
Zeichnungen wiederum sind auch Zeichen, die wie Worte gelesen werden können.
Das Wort wird zum Satz, die Zeichen werden zur Sprache, die Zeichnung wird zum Bild.
Ob gezeichnet, geritzt, geschnitten, positiv oder negativ, schwarz auf weiß oder weiß auf schwarz: In den vielschichtigen Gedanken- und Bildablagerungen sucht das Gehirn nach Zusammenhängen und Sinn. Es baut Brücken über Abgründe und Klüfte, spinnt Fäden und Netze, errichtet Gebäude auf unbekanntem Grund, um zu verstehen. Es sucht die Spur, welche die Gedanken aus dem Chaos in die Ordnung, aus der Dunkelheit ans Licht, aus dem Diffusen und Undurchdringlichen in die Klarheit führt.
Ineinandergebissen wie zwei Krokodile, ineinandergewunden wie zwei Würgeschlangen ringen Sprache und Bilder um ihre Genesis als Buchstabe, Linie, Zeichen, Satz.
Ich, die Richterin, muss die beiden Krokodile trennen und die beiden Schlangen versöhnen.

Ich schöpfe.
Ich schaffe, ich zerstöre. 
“Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust”, schrieb der russische Anarchist und Revolutionär Michail Bakunin 1842.
Lust und Qual, im Schaffensprozess ist beides enthalten; im Ringen um Einheit und Differenzierung enthält das eine immer den Verlust des anderen.

Der Prozess der Sprachfindung ist schmerzhaft oder gar “Sprechfolterung”. In seinem Theaterstück “Kaspar” lässt Peter Handke diesen sagen: “Seit ich sprechen kann, kann ich ordnungsgemäß aufstehen; aber das Fallen tut erst weh, seit ich sprechen kann; ...”.


Korrespondenz: Sprachbilder und Bildsprache

Vielleicht waren dies die vagen Vorzeichen der Zusammenarbeit zweier Künstler, die sich im Mai 2009 auf der Minipressenmesse in Mainz trafen und eine Zusammenarbeit ins Auge fassten: Jürgen Höritzsch, der in seinen Künstlerbüchern “Trance” und “Letternbrut” Fragmente expressionistischer Lyrik und eigene Einwortgedichte surrealistischen Radierungen gegenüberstellt, und ich, die ihre sinnlich empfindsamen Gedichte in handgebundenen Editionen herausgibt. 
Aus einer lockeren Korrespondenz entstand ein Projekt, das nun über fast zwei Jahre hinweg feste Konturen annahm. Das Ergebnis ist ein originalgrafisches Künstlerbuch mit dem Titel NYX. 
Die Nacht, das Nächtliche, Dunkle, Undurchdringliche, findet sich in den Arbeiten beider Künstler und wurde zum gemeinsamen Nenner des Austauschs von Gedichten und Grafik-Entwürfen. Bewusste Bezüge zur mythologischen Figur der Nyx und Verwendung von Allegorien blieben außen vor- vielmehr ging es um das Nächtliche, was beide Künstler von sich aus und unabhängig voneinander zum Ausdruck bringen. 
Nach Hesiod entstand Nyx, die dunkle Nacht, aus dem Chaos. Nyx paarte sich mit ihrem Bruder Erebos, dem Grauen der Finsternis, und brachte Hemera, den Tag, und Aither, den Äther, hervor. 
Hier lässt sich ein Bezug zum anfangs skizzierten Schaffensprozess herstellen und auch zu den Lichtern, die doch hier und da aus der Dunkelheit leuchten:

“Der Mond steht im Himmel wie eine fleischfressende Pflanze”, heißt es im Gedicht “Mond”. 
Es korrespondiert mit dem Bild eines Mädchens, das vor einem Radio-Schrank sitzt und andächtig lauscht, ungestört von Hund und Hase, die aus dem Schrank springen und einem horizontal halbierten Schädel, in den man durch den halben aufgesperrten Mund hineinschaut. Unter dem aufgeklappten Deckel wächst er wie ein Aufsatz hervor. Auf den ersten Blick mutet er an wie eine zum Möbelstück gehörende Kuppel. Doch der Mond, mit dem das Mädchen auf eigenartige Weise kommuniziert, “steht da für die Liebe/ und sonst nichts”.

Dann wird es dunkel und unheimlich: “Du kamst des nachts, ich konnte dich nicht sehen”, beginnt die “Wolfsnacht”, im Buch gegenüber einer Maya-Ruine, aus deren schwarzen Fensterhöhlen schwarze Farbspritzer kommen.
“Finster und frostig lag der Wald vor uns/ Deine Augen durchdrangen die Dunkelheit wie ein Rudel Wölfe, das durch den Wald jagt”.

Zu einer fast idyllisch anmutenden winterlichen Landszene mit einem Ruderboot auf einem Fluss vor einem verfallenen Bauernhaus mit verschneitem Dach und Menschen, die wie Schatten am Ufer stehen, während die Menschen im Ruderboot eine Spazierfahrt mitten im Winter zu unternehmen scheinen, gehört das Gedicht “Schneevogel”, ein “Bote der Sehnsucht, des Hungers und der Nacht”.
Der Schlaf ist Thema im Gedicht “Geister mit Pelzhandschuhen”. Diese “richten die Wahrheit/ tödlicher Schlaf”, so heißt es zum Schluss. Dem gegenüber sieht man zwei Männer vor den Säulen eines großen Gebäudes stehen. Es könnten Wachleute mit schwarzen Mützen und hochgezogenen Mantelkragen sein, Thanatos und Hypnos, Tod und Schlaf, nach Hesiod und Homer beides Nachkommen der Nyx. Flügel und eine mit den Füßen nach oben am Boden liegende Krähe bevölkern das Bild weiter. Zwei Flügel könnten den Wachleuten jeweils aus Kopf oder Schulter wachsen - oder sie schweben dort absichtslos und von den Männern unbemerkt.

Insgesamt sind es neun Radierungen und neun Gedichte, die sich auf den Buchseiten gegenüberstehen. Die Grafiken sind in den Farben schwarz, blau, rot und braun gehalten, meine Schrift-Grafiken der Gedichte wurden von Jürgen Höritzsch belichtet, geätzt und dann ebenfalls als Radierungen aufs Papier gebracht. 

Auf dem Titel ist ein riesenhaftes Radio-Teleskop zu sehen, Empfänger von Botschaften aus dem Kosmos, dem Chaos, dem Unbewussten vielleicht. Ein überdimensionales Ohr zum haptisch-visuellen Werk.


Das Wort und das Bild sind eins. Maler und Dichter gehören zusammen”,

formulierte Hugo Ball als Mitbegründer der Dada-Kunst in Zürich 1916. Die Dadaisten wandten sich gegen Spießigkeit, Tradition, akademisches Denken und Krieg. Ähnlich wie die Surrealisten, die sich vornehmlich für das Unterbewusste interessierten, nahmen sie Wörter und Sätze auseinander, fügten sie nach dem Zufallsprinzip und der Intuition folgend, gleichsam träumend, zu Lautgedichten zusammen. Sprache wurde demontiert, lustvoll zerstört und wieder zusammengesetzt: Etwas Neues war entstanden, Sprachbilder und Bildsprache zeigten sich in ungekannter Form, auf die man sich nur mit großer Offenheit einlassen konnte, oder die man ablehnen musste.

In großer Offenheit begegnen sich auch Jürgen Höritzschs Radierungen und meine Gedichte. 
Doch Grafik und Gedicht sind nicht eins. Will man sie beide sehen und lesen, muss man die Buchseiten aufschlagen und sie trennen: Links das Gedicht, rechts das Bild. Beim Umblättern werden die beiden aufeinander gelegt. Wird der Buchdeckel zugeklappt, sind sich Wort und Bild am nächsten.
Sie gehören zusammen und passen nicht. Sie ziehen sich an und stoßen sich ab, sind eigen, fremdartig, anders, heterogen. Sie kämpfen und versöhnen sich. Sie oszillieren zwischen zwei Polen unterschiedlicher Ladung, durch die Spannung entsteht, Elektrizität, Licht.
Licht im Dunkeln, Lux und Nyx; sie gehören zusammen, sind eins, sind ewig, sind alles...

Alles 

Das Leben geträumt
Die Sehnsüchte gelebt

Die Träume verflogen
Die Sehnsüchte gelöscht

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