Mittwoch, 1. April 2015

Wolkenblick I



Workshop "Wolkenblick",
Samstag und Sonntag, 28. und 29. März
im Arp Museum Bahnhof Rolandseck

Kreatives Schreiben und Gestalten eines eigenen Künstlerbuchs
(s. projekte/ künstlerworkshops)

Bildergalerie Samstag, 28. März




Ausstellung "Haux Haux", Ernesto Neto






















Fotos (c) Eva Wal


Im Neto-Netz 
Nichts hatte sie auf diese Hitze vorbereitet. Nicht die Schulung bei der brasilianischen Botschaft über Sitten und Gebräuche der Huni Kuin, nicht die Bücher, die sie im Vorfeld gelesen hatte, nicht der völlig sinnfreie Workshop, den die GIZ in Berlin, ausgerechnet im kältesten Winter seit Jahren, abgehalten hatte. Eine Seminarleiterin, kühl wie eine Mondfrau, hatte ihnen von Impfungen und Krankheiten, Freundlichkeit und Gewalt berichtet, während vor den Fenstern der Schnee stöberte.
Jetzt war sie hier. Ein 15-Stunden-Flug, eine Alptraumnacht in Rio, ein weiterer drei-Stunden-Flug sowie eine vierstündige Fahrt in einem schlammverkrusteten Jeep, der schlimmere Sprünge vollführte als ein bockiges Pferd, lagen hinter ihr. Frau Doktor Nathalie Aschmeyer war zu Tode erschöpft, bis ins Mark verängstigt, und sie schwitzte. Sie schwitzte so sehr wie noch nie in ihrem Leben. Die Hitze war allumfassend, klebrig und grell. Nathalie wollte sich in einer Höhle verkriechen, einer dunklen, kühlen Eishöhle. Sie wollte fliehen vor der Verantwortung dieser aberwitzigen Aufgabe, die sie übernommen hatte, vor der tropischen Zumutung des Amazonas, vor den erwartungsvollen Gesichtern der Dorfbewohner und ihres Projektteams, das streng genommen nur aus José, dem Fahrer, und Irene, die hier ihr soziales Jahr absolvierte, bestand. Irene, jung, voller Enthusiasmus und mit feuchten Haaren im nahen Wasserfall: „So geil! Musst Du unbedingt sofort machen, wenn Du Dein Zeug abgeladen hast!“ – Irene, die im Gegensatz zu Nathalie kein bisschen schwitzte und die gerade ein nacktes, sehr schmutziges, von Mücken wie Nebelschwaden umschwirrtes Kind am Bauch kitzelte.
Nathalie straffte sich mühsam. OK. Sie war hier. Sie würde zwei Jahre lang dieses Projekt leiten. Sie würde zum Wohle des nackten Kindes, zum Wohle des Regenwaldes und zum Wohle der ganzen Menschheit in dieser Hitze arbeiten. Sie hatte es so gewollt. Ihr T-Shirt und ihrer Safari-Hose klebten ihr am Körper, als sie ihren Rucksack vom Jeep wuchtete. José war in einer nahen Hängematte eingeschlafen. Die Geräusche des Dschungels brandeten um Nathalie, der nachmittägliche Tropenregen kündigte sich mit riesenhaften Tropfen an. Die Schwüle nahm in Sekundenschnelle zu, die Luft wurde stichfest.
Nathalie schleppte ihren Rucksack in die Hütte, auf die Irene lächelnd zeigte. Auch hier war eine Hängematte gespannt. Zwei Geckos saßen an der roh gearbeiteten Wand. Frau Doktor Aschmeyer war das egal. Sie sank in das farbenfrohe Netz, schwang leicht hin und her und versuchte in der tropfenden Schwüle in ihrem neuen Leben anzukommen. Wär doch gelacht. 

Text von NN
Nelly Neukirchen,
Kursteilnehmerin
 (Setze Dich in eine Ernesto Neto – Körperskulptur und schreibe einen Text, der folgende Worte enthält: sinnfrei, Mondfrau, Pferd, Höhle, Wasserfall, Nebelschwaden, mühsam, stichfest!)