Mittwoch, 18. Juli 2018

Seerose


(c) Eva Wal, VG Bild


Die tägliche Reise der Seerose

 Transzendenz


I
Ich atme von
außen nach innen,
von innen nach außen,
mit dem Licht,
mit meinen Blättern und
meinen Farben
atme ich

Ich öffne und schließe die
Augen und den Mund,
die Hände und den Blätterleib
um meine Mitte

Mein Spiegelbild breitet sich aus
wie ein Gewand und singt sirenenhaft

Blind, doch mit geöffneten Augen
falle ich durchs dunkle Wasser

An meinem Stengel entlang geht die Reise
ins Labyrinth der Tiefe am Grund


II
Ungewiss ist alles,
nichts wissen meine Augen, nichts

Mein Blick, gefangen in
den Augen eines winzigen Insekts,
fliegt auf von der Wasseroberfläche,
hoch hinauf ins Blau, das der Tiefe gleicht

Verschwunden ist das kleine Insekt,
hinter der Tujahecke mit
Millionenscharen geschwätziger Vögel,
verschwunden ins Jenseits,
doch meine Ohren bleiben am Grund

Ungewiss ist alles,
nichts wissen meine Ohren, nichts

Hummel und Libelle,
Schmetterling und Fliege,
Mücke und Wasserläufer,
sie alle kommen und verlassen
mich wieder zu jeder Zeit,
denn sie sind nur Besuch

Zuhause aber bin ich auf der Reise
in die Tiefe und hoch hinaus ins Himmel-
blau, ins Jenseits hinter der Tujahecke

Von innen nach außen,
von außen nach innen
geht mein Atem,
und ich gehe mit


Ungewiss ist alles, nichts ist gewiss





(c) Eva Wal, VG BIld