Es gibt zwei neue Veröffentlichungen zu feiern:
Die KünstlerInnengruppe "Der Wald und der Sturm" hat nun eine Webpräsenz:
https://kunst-wald-sturm.jimdosite.com/
Hierzu einmal mehr eine Hommage an den Wald:
Lieber Wald
Mein lieber, blauer Wald
Das Abendlicht dringt und drängt
in Deine Kammern flimmernd
vor pochendem Laub
Hinter Schleiern
Eulengeheul
Unter Netzen
Spinnengeklapper
Mein lieber, grauer Wald
sepiabraun, wolfsweich die
wilde Melodie
Mein lieber, lieber Liebeswald
Umschlungen die Baumarme,
Bäuche,
Leiber,
Wurzeln
Nackt die Stämme
im Totholz
kreuz und quer
Wie mächtig Deine Torsi!
Das Stampfen und Flattern
in Deinen Laubzimmern, das
Pfeifen der Pilze und die
Silberstimmen besaiteter Äste sind
symphonischer Klang da oben
in den Kronen
Und unten am Grund,
tief in der Erde,
glüht es schwarz und
feuerrot.
Und nun zur Fiktion: Das amerikanische Literatur-Magazin hat mich wieder in ihr neues Issue aufgenommen, dieses Mal mit visueller Kunst, meinem Bild "Flut", "Flood", hier zu sehen auf Seite 44 neben der Kurzgeschichte "Dungeons" von Michelle Fulmer.
Flut, Wachskreiden, Gouache und Kohlestift auf Leinwandpapier, 140 x 180 cm, Juli 2021 |
Große Kunst, zwischen Dystopie und Fiktion jedenfalls, hier noch ein Gastbeitrag von Michael Domas, geschrieben und vorgetragen zum Literarischen Nachmittag im Skulpturengarten Rösrath (s. vorige Posts).
Stellen Sie sich vor – und vermeiden Sie dabei, so panisch zu werden, dass Ihre Vorstellungskraft aussetzt – stellen Sie sich vor, es gäbe keine Bäume. Nein, nicht deshalb keine, weil sie inzwischen verbrannt sind oder verbrannt wurden, weil sie vertrocknet, vergiftet, erstickt sind, weil sie gerodet, verheizt, verbaut, zu Mulch verarbeitet wurden – all das fordert nicht so sehr Ihre Phantasie heraus wie Ihre Furcht, und diese ist durch die täglichen Nachrichten trainiert.
Nein, stellen Sie sich in aller Ruhe, nur so als Gedankenexperiment vor: Es hat nie Bäume gegeben, jedenfalls keine Nadel- und keine Laubbäume, die Evolution hat sie irgendwie verpasst. Dabei hatte sie schon mit der Idee von Bäumen gespielt. Was heißt gespielt, aus Bärlapp-, Farn- und Schachtelhalmgewächsen hat sie wahre Baumriesen erschaffen. Die aber überlebten nicht die Klimaveränderungen, die die Vereinigung der beiden Großkontinente Laurussia und Gondwana zum Superkontinent Pangaea mit sich brachte, vor 300 Millionen Jahren war Schluss, und von der ganzen Herrlichkeit blieb nichts als Kohleflöze. Danach brachte die Evolution zwar die Blütenpflanzen hervor, wusste jedoch nur Savannen daraus zu machen, Steppen oder – immerhin – Buschlandschaften, der Gigantismus jedoch, zu dem sie neigt, blieb auf diesem Felde aus. Vielleicht, weil die Gehölze nicht nah genug zusammenfanden, um sich in der Konkurrenz um Licht gegenseitig in die Höhe zu treiben? Oder, wenn Sie es lieber mit Nazim Hikmet oder Peter Wohlleben halten, weil Brüderlichkeit die Ausnahme ist?
Gleichviel, weder können wir uns unter Linden finden, noch Eichen weichen, noch Buchen suchen; uns Hoffnung und Beständigkeit zu lehren gibt es keinen Oh Tannenbaum; keine Fichte träumt mit Heinrich Heine von einer Palme; Caspar David Friedrich kann seine Bilder nicht mit botanischen Bizarrerien ausschmücken; Tom in der TAZ in seinen Touché-Cartoons nicht die Frau im Blümchenkleid „Den Baum berühren, den Baum spüren, eins werden mit dem Baum“ sagen lassen. Es gab keinen Paradiesapfel und also keinen Sündenfall.
So weit konnten Sie mir folgen? Eher unwillig? Das verstehe ich, aber die Pointe kommt ja noch. Jetzt nämlich stellen Sie sich vor, in dieser baumlosen Welt schafft ein Künstler etwas, was wie ein Baum aussieht, so täuschend ähnlich wie die künstlichen Bäume in Hotelfoyers, die Sie erst anfassen müssen, um zu verstehen, dass sie nicht echt sind. Aber in unserem Gedankenexperiment gibt es natürlich auch keine künstlichen Hotelfoyersbäume, sondern es gibt nur den einen unseres Künstlers. Seine Plastik, ein Riese mit breitestem Stamm, der sich in machtvolle Äste und immer filigraner werdende Zweige und Zweiglein aufgabelt, eingebettet in eine gewaltige Krone, der unglaubliche 800 Tausend Blätter angeheftet sind – dieses Produkt einer ebenso kühnen wie präzisen Phantasie steht weithin sichtbar und frei auf einem grünen Hügel. Das Publikum, das aus aller Welt anreist, um das Objekt zu bewundern, verhält sich doch still, um dem Rauschen des Windes in seinen Blättern zu lauschen.
Nicht einmal, dass keine Vögel zu hören sind, mindert die Andacht.
Michael Domas, August 2021
Und wer weiß, vielleicht ist ja doch der PUKA das allergrößte und schönste Kunstwerk. Jedenfalls hat es/ er das Ende der Skulpturengarten-Saison in guter Verfassung erreicht und geht nun mit mir zurück in den heimischen Garten.
Zum Puka: Posting vom Mai und Juni, 1. Literarischer Nachmittag.