Madame Hiver à Sanary
Heute führt sie Schoßhündchen mit Häkeldecken aus, fünf oder mehr an der Leine. Ihr grüngelbes Haar fällt in sanften Wogen und struppigen Strähnen unter der Wollmütze hervor.
Die weichen Mimosen leuchten im klarsten Gelb, der Rosmarin trägt zarte, blaue Blüten zwischen seinen Nadelbüscheln. Ihr helles Gesicht wirkt etwas müde und erschöpft, doch ihre lächelnden Augen verströmen Übermut und Wonne. Wie aus Versehen steigt rose in ihre Wangen und verleiht ihnen Frische. Oben auf ihrer Mütze wippt eine Kunstschnee-Kugel. Eissterne haften an ihren Wimpern und Augenbrauen. Sie zucken, leuchten, blinken. Madame Hiver ist zur Hälfte Kunst, zur Hälfte Natur. Sie ist ein unterkühlter Sommer, glacial, sagen manche, für andere ist sie die geheime Königin der Jahreszeiten. Hier, an der blausten aller Küsten gehen die Geschwister Jahreszeiten Hand in Hand. Freundlich lassen sie einander los, wenn es Zeit ist, zu kommen oder zu gehen.
Madame Hivers Atem ist ein Klima für Orangen, Zitronen, Blumen und Blüten. Manche danken ihr die Kühle, die Milde, die sanft wärmende Liebe, die dem Sommer entgegengesetzt ist. Um ihn, den Bruder Été, dreht sich heutzutage alles. Sexhungrig und selbstsüchtig ist er, doch er liebt sie und sie liebt ihn. Été-Hiver, Hiver-Été, sind wie Yin und Yang, zwei Prinzipien des Wetters, der Welt. Ebenso Schwesterchen und Brüderchen Printemps-Automne, Automne-Printemps, die Ankunft und Abschied ihres Geschwisterpaars feiern. Sie sind die Favoriten des Küstenvolks, das nun ein Wintervolk ist, herausgeputzt wie immer, doch heute wird weniger Fleisch und sonnengebräunte Haut gezeigt, sondern Fellmäntel, Flausch, Plüsch und Puschel, Schals und Jacken mit Kapuzen und Pelzbesatz. Unter Kunst versteht man Kunstfell oder Glitzer-Arrangements.
Nach Einbruch der Dunkelheit funkelt sogar der Kirchturm in einem Lichterketten-negligé, gelbweiß und blauviolett.
Schnee ist eine Utopie, eine Illusion in Plastik. Doch Madame Hiver hat eine exklusiv weiße, weiche Kaninchenfellhaut, und über diesem natürlichen Flausch hängen in Büscheln die seidigen, gelb leuchtenden Mimosen und grüne Rosmarinnadeln, übersät von blauer Januar-Blüte. Mimosenparfum schwebt um Madame Hiver. Der Duft des öligen Rosmarins aber tritt nur aus, wenn man ihn zwischen seinen Fingern oder den Zähnen zerreibt. Er braucht Reibung wie die Liebe.
Madame Hivers Amt ist dasselbe wie das ihrer Geschwister, Sommer, Herbst und Frühling. Der Betrieb in dem kleinen Küstenorten geht immer weiter, dreht sich um sich selbst, immer à la rond, im Kreis herum. An jeder Promenade steht ein Karussell. Sommers wie winters dreht es sich mit denselben Figuren, Esel, Pferd, Tiger, Panther, Löwe, Motorrad, Heißluft-Ballon und Taucherglocke zur selben quäkenden, orgelnden Musik. Auch das Eis wird das ganze Jahr zum selben Preis verkauft. Eine Kugel Erdbeer, Vanille, Schokolade, Veilchen oder Karamell für zwei Euro fünfzig. Nur wenige Läden sind geschlossen, viele Appartements stehen leer. Die Hotels haben die stolzen Preise ein wenig herabgesenkt. Die Parkplätze und Strände sind halb verlassen. Das Meer ist kalt. Wenige Menschen in Surfer-Anzügen sind als dunkle Bojen im Wasser zu erkennen neben weißen Segeln, die dann und wann vorüberziehen.
In der aufdringlichen, unausweichlichen Nötigung der Sommerhitze ist das nasse Element erfischend kühl und lädt die Menschen ein. Sie kommen in Scharen. Den Sommer lieben sie hier, weil sie ihm im Meer entkommen können.
Nur die Kränkelnden kommen noch viel lieber in Madame Hivers Schoß, wo sie härteren Wintern mit Schnee und Eis entfliehen. Sie kosten die herben und lieblichen Gerüche, liebkosen die lichte Gestalt und umarmen ihre Natur.
Sie kehrt wieder aus ihrem Element in ihrem Rhythmus, steigt aus dem gelassenen Wasserspiegel mit gelegentlichem Missmut, einer wolkigen, verhangenen Laune und manchmal einer kleinen Wut.
Meiner Liebe und Treue kann sie gewiß sein. Ich brauche dabei kein falsches Fell, keinen Plüsch und Glitzer und schon gar keine Schoßhunde.
Ich halte Hivers Haar zwischen meinen Fingerspitzen. Zerreibe eine Spitze und sauge den Duft von Rosmarin ein. In meinen Augen blüht ein hellblauer Stern. Das Meer liegt vor mir ausgebreitet, blau, weit und weich wie ein sanft glänzendes Fell.
Heute führt sie Schoßhündchen mit Häkeldecken aus, fünf oder mehr an der Leine. Ihr grüngelbes Haar fällt in sanften Wogen und struppigen Strähnen unter der Wollmütze hervor.
Die weichen Mimosen leuchten im klarsten Gelb, der Rosmarin trägt zarte, blaue Blüten zwischen seinen Nadelbüscheln. Ihr helles Gesicht wirkt etwas müde und erschöpft, doch ihre lächelnden Augen verströmen Übermut und Wonne. Wie aus Versehen steigt rose in ihre Wangen und verleiht ihnen Frische. Oben auf ihrer Mütze wippt eine Kunstschnee-Kugel. Eissterne haften an ihren Wimpern und Augenbrauen. Sie zucken, leuchten, blinken. Madame Hiver ist zur Hälfte Kunst, zur Hälfte Natur. Sie ist ein unterkühlter Sommer, glacial, sagen manche, für andere ist sie die geheime Königin der Jahreszeiten. Hier, an der blausten aller Küsten gehen die Geschwister Jahreszeiten Hand in Hand. Freundlich lassen sie einander los, wenn es Zeit ist, zu kommen oder zu gehen.
Madame Hivers Atem ist ein Klima für Orangen, Zitronen, Blumen und Blüten. Manche danken ihr die Kühle, die Milde, die sanft wärmende Liebe, die dem Sommer entgegengesetzt ist. Um ihn, den Bruder Été, dreht sich heutzutage alles. Sexhungrig und selbstsüchtig ist er, doch er liebt sie und sie liebt ihn. Été-Hiver, Hiver-Été, sind wie Yin und Yang, zwei Prinzipien des Wetters, der Welt. Ebenso Schwesterchen und Brüderchen Printemps-Automne, Automne-Printemps, die Ankunft und Abschied ihres Geschwisterpaars feiern. Sie sind die Favoriten des Küstenvolks, das nun ein Wintervolk ist, herausgeputzt wie immer, doch heute wird weniger Fleisch und sonnengebräunte Haut gezeigt, sondern Fellmäntel, Flausch, Plüsch und Puschel, Schals und Jacken mit Kapuzen und Pelzbesatz. Unter Kunst versteht man Kunstfell oder Glitzer-Arrangements.
Nach Einbruch der Dunkelheit funkelt sogar der Kirchturm in einem Lichterketten-negligé, gelbweiß und blauviolett.
Schnee ist eine Utopie, eine Illusion in Plastik. Doch Madame Hiver hat eine exklusiv weiße, weiche Kaninchenfellhaut, und über diesem natürlichen Flausch hängen in Büscheln die seidigen, gelb leuchtenden Mimosen und grüne Rosmarinnadeln, übersät von blauer Januar-Blüte. Mimosenparfum schwebt um Madame Hiver. Der Duft des öligen Rosmarins aber tritt nur aus, wenn man ihn zwischen seinen Fingern oder den Zähnen zerreibt. Er braucht Reibung wie die Liebe.
Madame Hivers Amt ist dasselbe wie das ihrer Geschwister, Sommer, Herbst und Frühling. Der Betrieb in dem kleinen Küstenorten geht immer weiter, dreht sich um sich selbst, immer à la rond, im Kreis herum. An jeder Promenade steht ein Karussell. Sommers wie winters dreht es sich mit denselben Figuren, Esel, Pferd, Tiger, Panther, Löwe, Motorrad, Heißluft-Ballon und Taucherglocke zur selben quäkenden, orgelnden Musik. Auch das Eis wird das ganze Jahr zum selben Preis verkauft. Eine Kugel Erdbeer, Vanille, Schokolade, Veilchen oder Karamell für zwei Euro fünfzig. Nur wenige Läden sind geschlossen, viele Appartements stehen leer. Die Hotels haben die stolzen Preise ein wenig herabgesenkt. Die Parkplätze und Strände sind halb verlassen. Das Meer ist kalt. Wenige Menschen in Surfer-Anzügen sind als dunkle Bojen im Wasser zu erkennen neben weißen Segeln, die dann und wann vorüberziehen.
In der aufdringlichen, unausweichlichen Nötigung der Sommerhitze ist das nasse Element erfischend kühl und lädt die Menschen ein. Sie kommen in Scharen. Den Sommer lieben sie hier, weil sie ihm im Meer entkommen können.
Nur die Kränkelnden kommen noch viel lieber in Madame Hivers Schoß, wo sie härteren Wintern mit Schnee und Eis entfliehen. Sie kosten die herben und lieblichen Gerüche, liebkosen die lichte Gestalt und umarmen ihre Natur.
Sie kehrt wieder aus ihrem Element in ihrem Rhythmus, steigt aus dem gelassenen Wasserspiegel mit gelegentlichem Missmut, einer wolkigen, verhangenen Laune und manchmal einer kleinen Wut.
Meiner Liebe und Treue kann sie gewiß sein. Ich brauche dabei kein falsches Fell, keinen Plüsch und Glitzer und schon gar keine Schoßhunde.
Ich halte Hivers Haar zwischen meinen Fingerspitzen. Zerreibe eine Spitze und sauge den Duft von Rosmarin ein. In meinen Augen blüht ein hellblauer Stern. Das Meer liegt vor mir ausgebreitet, blau, weit und weich wie ein sanft glänzendes Fell.