Dienstag, 23. Dezember 2025

Dezemberleuchten

 

 Drei Gedichte von der Nordseeinsel Baltrum

 

Abend

 

Der Himmel trug rosa Streifen

            Zwei Rehe standen einträchtig

nebeneinander auf einer Düne

 

Unser Weg war ausgelegt mit einem

glänzenden Teppich aus Moos

 

An seinen Rändern zu beiden Seiten

leuchteten die letzten roten Beeren

und warteten auf Wintervögel

 

Wir hatten keine Eile fügten uns zu einer

Abendeintracht auf diesem Weg

 

Die Sonne wuchs zu enormer Größe

Sie musste sinken wie aus Blei

 

Eine gefährliche Scheibe ein

Tor in den verklärten Himmel aus

flüssigem Glas

 

Ein Schiff fuhr auf das Sonnentor zu

Es trug eine Urne – ich war darin

eingekauert – wollte mich

 

versöhnen mit den Elementen

wieder zusammenfügen verschmelzen

was durch das fortwährende Denken

abhanden gekommen war ganz

zersplittert war ich bevor ich

 

mich zusammengesammelt hatte und

in die Urne gekrochen war

 

Doch wie ich darinnen eingeschlossen wurde

war ich in allem und alles war in mir

 

Vogelflug Brausen Branden und ein feines

Fiepen im Schilf… ach und das Rosa im

Himmel vor dem die Rehe standen und dachten

nichts.

 

 

 

 

 

  

 

 



  

Spaziergang am Meer

Falbes Schilf, Gänse darin wie Kegel und die Sonne ist Bestimmerin; holt die Winde, zaubert Schaumkronen, pfeift und pustet Sandfahnen am Strand entlang, dem Saum des Meeres; Drachen, Abgesandte mit peitschenden Schweifen und Schwertern aus Schilf; die Sonne ist eine Uhr aus Blei, das Feuer verschlingt die Zeit und der Raum dehnt und dehnt sich; mit kundigen Fingern türmt er Muscheln auf der Rückseite der Welt, wo die Mondin sich in ihrem Spiegel betrachtet; sie ist gealtert, doch schmückt sie sich mit den weißen Juwelen; eine Göttin ist immer schön…

                        Auf den dunklen Wiesen liegt ein Geschnatter, das geht bis in die Nacht, wo Sonne und Mondin eins sind in Licht und Glanz; In ihren Händen drehen sie die Welt wie eine von Wind und Wasser geschliffene Formation.

 

 



 

Am Meer

 

Der Abend leuchtet, die Pfützen gleißen, die Fenster der leeren, als ob unbewohnten Häuser stehen in Flammen; der Himmel hat übernommen und sein Feuer geschickt: als Leuchten in Gold, Platin und allen Tönen von Rot. Im Dämmerlicht tummeln sich Fasane und Kaninchen, eilen hin und her, als hätten sie noch Besorgungen zu machen. Die Vögel, ferner, von weiter her, bilden einen Schnatterteppich. Alles, alles habe ich in mich aufgesogen; sitze nun in der gemütlichen Dachkammer, aufrecht im Bett, an Kissen gelehnt, schreibend und müßig wie eine faule Studentin, so scheint’s, während von unten der Duft frisch gebratener Pfannkuchen heraufsteigt mit Kaffee. Von draußen dröhnt es sanft herein, durch einen Spalt des geöffneten Fensters; eine Gewalt ohne Wut, eine geöffnete Faust, eine offene Hand, aus der die Elemente und Geschöpfe strömen.

So saßen sie heute Morgen auf unserem Weg, als wären sie dort noch nie gestört worden; die Gänse, die Möwen. Das Wasser ruht in seinen Vertiefungen, den Mulden, Pfützen und bleibt liegen, während alles Gefiederte sich erhebt, klagt und flieht, wenn wir nahen mit unseren gestiefelten Doppelfüßen.

Alles ist in Gold getaucht; kein Mensch weit und breit.

 Wir erreichten das Ende der Salzwiesen, die Dünen, das Meer. Die tropfengeschmückte Feder, die ich vor zwei Tagen hier fotografierte, liegt an derselben Stelle; sie erinnert mich an Dinge, die bleiben, während die Vögel in Scharen sich erheben, erheben, erheben unter Pfeifen und Schwirren und das Schilf leuchtet, als könne es gute Laune haben – wer weiß es schon – leide etwa nur ich unter launischer Gereiztheit? Heute löst sie sich alchimistisch auf, verwandelt sich in Entzücken und Jubel. Aus der Tiefe steigt er, verliert mit jedem Schritt in die Höhe an Schwere und Dunkelheit; verlässt sie, als wüsste diese neue Hochstimmung zu singen vom Bleiben und Verlieren, vom Ruhen und Fortziehen, oder als wüsste sie gar zu berichten vom Schwimmen in der eiskalten See: sieh‘ da, ein Seehundkopf taucht aus den Fluten, schaukelt munter auf und ab durch das gekräuselte, juwelenbesetze Blau des Wassers… Ja, nur die Oberfläche sehen wir von hier aus am Stand, dem wir unsere Spuren eindrücken für eine Zeit wenigstens und ja, doch auch wir Menschenwesen, so weit entfernt in unserer Art von Vögeln, Robben und Schilf sind doch Geschöpfe… einst strömten wir alle zusammen aus dieser einen geöffneten Hand über dem Horizont.










 
 
 
Text und Fotos

(c) Eva Wal, VG Bild-Kunst