Sonntag, 28. Dezember 2025

Das Café Paris in Hamburg


La Vie en Rose d’Amade 

 

Heute spiele ich reiche Hamburgerin. Alle Jahre wieder bei einem Besuch in der Hamburger Innenstadt, zwischen schicker Innenalster und Rathausmarkt im Café Paris.

Die Atmosphäre ist immer hallig, wie in einem Schwimmbad. Dicke Fische, auch schlanke, elegante, kommen angeschwommen zur Nahrungsaufnahme, laut blubbernd, wie Lachen, wie Gespräche, während die schwarz und weiß gekleideten Bedienungen hin und her gleiten, Musik und Lärm machen mit Tellergeklapper und Besteck, dsching dsching dsching.

Leuchtbirnen, leuchtende Saugnäpfe an Keramik-Krakenarmen scheinen von der Fin de Siècle - Deckenwölbung des kultigen Cafés; Dennoch ist das Licht sanft, ein unaufdringlicher Schein von den gekachelten Bändern an der Decke mit einer Art Flechtmuster wie von einem Strickpullover.

Über mir schwebt das Abbild eines prallgefüllten Apfelbaums am oberen Rand eines gekachelten Ovals. Zwei barbusige, füllige Frauen repräsentieren zur Rechten die Landwirtschaft, zur Linken die Industrie. Gelassen sitzen sie da, die Hände geöffnet, Äpfel im Schoß oder einen Hammer in der Hand, eine Weizengarbe mit Kornblumen geschmückt oder ein geschmiedetes Maschinenrad empfangend von fast nackten Knaben zu ihren Füßen. Weiter vorne prangen Bilder für Schifffahrt und Handel in einem weiteren Oval. Unbescholten hat das Jugendstil-Deko seit Café-Gründung 1882, was in stolz gerundeten, mint-farbigen Lettern wie von Lebkuchen an der Stirnwand prangt, die Geschichte überstanden, auch den Nationalsozialismus in den 1930er und 40er-Jahren. Jetzt schreiben wir das Jahr 2025. Statt der Bohème der 1920er-Jahre verkehrt hier nun die Bourgeoisie der 2020er. Ich führe eher die Tradition der Bohème fort, mein Besuch kein Geschäftsessen, keine Verabredung, mein Interesse gilt dem künstlerischen Flair zwischen Schwimmbad und Croque Monsieur, den Spuren der Kunstschaffenden, Stämmgästen wie Ernest Hemingway und Henry Miller, die hier Widmungen hinterließen. Heute noch werden sie aufgelegt, in dunklem Grün prangen ihre Handschriften auf den Papiertischdecken. Ein Verbrauchsmaterial, jeden Tag hundertfach benutzt, verschmutzt und weggeworfen. Außer von mir. Eines dieser Artefakte hängt zuhause an meinem Schrank, seit vielen Jahren schon. Nostalgie pur.

Heute schlürfe ich laut meine Bretonische Fischsuppe, das billigste Gericht. Zusammen mit Baguette, Aioli und leicht gesalzener Butter sättigt es mich vollständig. Mein Schlürfen sollte unüberhörbar sein, geht aber unter in der dröhnenden Akustik. Ich studiere die Tischauflage, entdecke neben Hemingway und Miller ein Gedicht des weniger bekannten Louis Amade… Soll auch ich hier dichten und signieren, pfeifen wie die Piaf in die Rosenranken um die gekachelten Ovale an der Aquariumsdecke? Au Aquarium, Eva Wal aka Maria Valewa, Decembre 2025… Au Bohéme, Voilà!

Ich beobachte: weniger Liebespaare als Männer und Männer, Frauen und Frauen treffen sich hier zwanglos zum Mittagessen. Ich sitze am Eingang, an einem kleinen Tisch. Wenn jemand hereinkommt, zieht es. Gut, denn es ist ein sehr milder Dezembertag, für den ich viel zu warm angezogen bin. Als käme ich aus einem Künstlerzimmer im unbeheizten Dachgeschoss, durch das es möglichweise noch hereinregnet. Eh bien!

Ich sitze hier satt und sicher. Wer jetzt noch kommt und nicht reserviert hat, wird abgewiesen.

 

Nach dem Essen noch ein kleines Bier, hell und leicht, ein Gallopin. Eben habe ich gelernt, dass besagter Louis Amade Kriminologe in Montpellier und Schriftsteller war. Mit Liedtexten für Edith Piaf hatte er seinen Durchbruch, und, „L’importance, c’est la rose“, es wurde sogar eine Rose nach ihm gezüchtet wurde. Die Amade-Rose muss es dann wohl sein, welche auch unser Café Paris ziert an der gekachelten Decke, rosa auf mokkaweiß. Auf Wikipedia lese ich: Große, sich locker öffnende Blüten mit schönen, fliederförmigen Staubbeuteln und würzigem Duft mit Anis Noten.

Mein nächster Wunsch im brechend vollen Café ist „zahlen, bitte“. „Sehr gerne“, wird mir dies prompt erfüllt. Zusammen mit der Rechnung zirkelt der schöne Ober das Reserviert-Kärtchen auf den Tisch mit Schwung und schwungvollem „Bis zum nächsten Mal“.

 

Kennen Sie eigentlich Louis Amade?

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

Text und Fotos, (c) Eva Wal, VG Bild-Kunst