Nach einem Monat der Rehabilitation in Todtmoos im Südschwarzwald teile ich hier, aufgeteilt in einige Postings, eine Auswahl tagebuchartiger Skizzen, Gedichte und Fotos.
10. August
Auf dem Waldweg
Im Vorübergehen sehe ich mich
um nach einem jungen Wolf –
und er sich nach mir
Aug in Aug bleiben wir stehen
Er trägt Leine und hat Mensch
Ich trage Rucksack und habe Wald
Auf dem Hochstand
Unter mir windet sich ruhig und verlassen der Waldweg
Ein Weg ist eine Einladung, es muss doch einmal einer vorbeikommen –
auf zwei oder vier Beinen, Hufen, Pfoten oder Zehen mit Flügel, Schnabel oder Schnauze –
Ein Summen, Krächzen und Zwitschern gesellt sich in die Rauschfrequenz des unsichtbaren Baches unter uns – alle Farben sind hier vereinigt, rauschen zusammen in Grüntönen mit Grau und Braun –
Lichtstämme
Schattenraster
(streng und sanft)
Flechten, Moose, Baumbärte
Waldfall
Waldsteigen
Alles, was lebt
hebt und senkt den Atem
Ich mache Photosynthese
Wie die Sonne sich an die behaarten Finger eines Zweiges schmiegt
Pilze fläzen, lümmeln wie faule Tiere auf Baumtellern
Register
Fuchsisches Greiskraut – dünnfingriger Sternentrichter-Strauß
Kaisermantel – samtbrauner Kleevogel
13. August
der Wasserfall die Wasserfelle die Wasserfellträgerin die Wasserfalle die Wasserfallende die Wasserfällende
Mitten in der Nacht scheint der Fluss - das stürzende Wasser - das weiße Haar der Nacht - leuchtend in seiner Bahn aus Stein
Sternschnuppen gefroren in ihren Sphären
Das heisere Bellen eines Hundes hatte mich vertrieben – eben dieser eine Hund hatte den Mond zerbissen
wie war es kalt in der nacht ich wickelte mich in wasserfelle trug das wasser über den schwarz bemoosten fels hinauf hinüber die ruhe fehlte ganz die liebe lag brach und
brüchig doch der fluss wo bärenklau und engelwurz sich gegenüberstehen an
den ufern rauschte unbeirrt enthielt alle vogelfrequenzen und
lächelte als ich das weiße haar hineinlegte
„Wasserfellträgerin“
raunte es aus der
kalten sommer-
nacht
ich
ging
weiter
an
meine
ufer
15. August
Gestern gehe ich einen neuen Waldweg in das Dörfchen Schwarzenbach und verliebe mich in das abgelegene Idyll. So ist es, wenn man durch den Wald gegangen ist, in dem Wölfe und Pilze um Licht und Dunkel ringen, Tannen und Fichten, und ich dem Weg unter meinen Füßen vertrauen muss - der Wald speichert das Licht und reinigt es in seinem dunklen Schoß.
Ich bin - immer noch - ein ängstliches und mutiges Rotkäppchen. Die Wölfe aber haben mit den menschlichen Märchen-Projektionen nichts zu tun. Ich komme aus dem Wald wie gewaschenes Licht - dort ist ein Dorf mit großen, tiefgezogenen Dächern, die mir Schutz anbieten, ein neues Leben zwischen grünen Hängen im Sommer und weißen im Winter. Ja, so ist es! Ich erkunde und wandere die Straße zurück.
Die Waldaufenthalte sind, was meine Seele reinigt und nährt, während die Klinik-Maschinerie, die ratternden, rüttelnden, pumpenden, schnaubenden Düsen und Motoren und die Stimmen der Physiotherapeutinnen in gekachelten Kellern meinen Körper aufbauen.
Die Klinik Wehrawald auf dem "Zauberberg"
24. August
Hochstand
Der Reiher hebt sich aus der Tanne
Schwebend hält sich die Wespe in der Luft
Das Eichhörnchen überquert den Weg
auf dem ich gehe
Die Lippen des Springkrauts schürzen sich
und wollen springen zum
Kuss
Es rauscht im Wald und
darüber ist es still
Ich gehe durch das Holzfällergebiet
rieche die Verletzung spüre
die groben Äxte die Sägen die Traktoren
mit ihren Riesenrädern die den Boden
verdichten wie Asphalt
Der ungeheure Lärm das Heulen Dröhnen und Rasseln
hat die Waldbewohner erschüttert die Wurzeln
zucken noch unter aufgetürmten Stämmen
lange Leiber mit zerfetzter Rinde
Könnte ich helfen!
Ruhe finden -
Mein Puls ein Eichhörnchen
meine Seele eine Tannenreiher
meine Hände die nervösen Flügel
einer Wespe und meine Lippen
rosarotes Springkraut